… steckt Lebensfreude. Und was für eine. Hier treffen wir Carsten Harder. Er ist Fachkraft für Gerontopsychiatrie und erzählt in einer kleinen Kaffeepause, wer hier lebt und was genau seine Arbeit ist.
39 Jahre jung, hat Carsten Harder sein Examen als Pflegefachkraft längst in der Tasche und etliche Jahre Berufserfahrung. Weil ihn die Psyche des Menschen und ganz besonders Menschen mit Demenz interessierten, setze er noch einen Abschluss der Gerontopsychiatrie oben drauf. Mit diesem spezifischen Fachwissen arbeitet er gemeinsam mit einem Team von Fachkräften und Pflegeassistenten auf einem Wohnbereich, auf dem ausschließlich Menschen mit fortgeschrittener Demenz-Erkrankung leben.
Gleich zu Anfang stellt Carsten klar, dass nicht nur die Qualität der Arbeit mit und für die Betroffenen wichtig ist. Sondern auch wie man ÜBER sie redet. „Es sind nicht DIE Dementen. Nein, es sind Menschen MIT Demenz.“ Denn eine respektvolle Sprache vermeidet Stigmatisierung. Sie hat Einfluss darauf, was andere Menschen über die Krankheit denken.
Beim Stichwort Sprache erfahren wir von Carsten, dem erfahrenen Wohnbereichsleiter, wie wichtig es ist, möglichst immer positiv zu bleiben. „Lobe und Komplimente machen glücklich, Kritik und Vorwürfe nicht – das geht jedem so.“ Um also das Selbstbild und das Selbstwertgefühl von kognitiv veränderten Menschen zu stärken ist es entscheidend, viel zu loben und positiv zu bleiben. „Auch wenn das mal schwerfällt.“
Die kleine Gruppe von 18 Bewohner*innen lebt hier in einem ruhigen Umfeld, das auf das Krankheitsbild abgestimmt ist: Die Gestaltung der Räume hilft ihnen bei der Orientierung. Eine großzügige Dachterrasse bietet Schutz vor zu viel Alltagstrubel und stattdessen liebevoll angelegt Hochbeete. „Am beliebtesten sind im Sommer die Erdbeeren, die hier wachsen“, schwärmt Carsten von dem Garten auf dem Dach. Ein Erinnerungszimmer ist mit schönen alten Möbeln gemütlich eingerichtet. In den alten Schränken befinden sich allerlei Gesellschaftsspiele, aber auch Materialien um zu gestalten und zu malen und an dem großen Tisch wird zum Musizieren oder gemeinsamen Essen eingeladen. Die wichtigsten Ressourcen sind Kommunikation, Gelassenheit und Geduld, um die Menschen mit Demenz gut begleiten zu können. „Ein in Anführungsstrichen ‚Fehlverhalten‘ wird nicht kritisiert und korrigiert, so wie wir es aus unserer Kindheit oft gewohnt sind.“ Denn das führt zu Stress und Konflikten, zu Frust und Angst. Und schließlich zu Hilflosigkeit oder sogar Aggression. „Wir holen also den Menschen nicht aus seiner Welt raus, in der er gerade ist, sondern steigen mit in seine Welt ein.“ Ein Beispiel: „Ein Bewohner sagt häufig, dass sein Auto im Halteverbot steht und er es wegfahren muss. Ich weiß, dass er längst keins mehr hat. Um ihn trotzdem fürsorglich in seiner Vorstellung zu begegnen antworte ich ihm, dass der PKW gerade in der Werkstatt ist oder dass ich ihn später umparke. Das beruhigt ihn und die Sorge, dass sein Auto abgeschleppt wird, lässt nach.“
Über das herausfordernde Verhalten, die Fehlertoleranz und mögliche Grenzen spricht Carsten‘s Team sehr offen miteinander, tauscht sich über Erlebtes und Erfahrungen aus, spricht mit den Angehörigen, zuständigen Ärzten und Neurologen. „Denn“, so Carsten, „auch untereinander sind eine gute Kommunikation und ein guter Umgang sehr wichtig.“
Wir holen den Menschen nicht aus seiner Welt raus, in der er gerade ist, sondern steigen mit in seine Welt ein.
Was hier spürbar wird: Emotionen und ganz individuelle Bedürfnisse werden zugelassen und dürfen gelebt werden, Empfindungen wie Wut oder Traurigkeit, Freude oder Weinen.
„Manche haben ihre Sprachverständigung verloren. Mit einer fortgeschrittenen Demenz können sie sich kaum noch über Mimik oder Gestik verständigen. Können ihre Schmerzen oder Bedürfnisse nicht mehr verbal ausdrücken. Dann kommen Emotionen unkontrolliert hoch. In dieser Verzweiflung helfen Vertrauen und Rituale, die wir aus der Biografie kennen.“
Überhaupt spielt die Biografie eine große Rolle. Jedes Detail hilft. „War jemand schon immer ein Langschläfer bevormunden wir ihn nicht. Wir behalten diese Gewohnheit bei und krempeln nicht den Biorhythmus um. Für solche nachtaktiven Bewohner*innen gibt es nachts auch mal eine Bullette, Kekse oder Erdnussflips. Wir gehen zu Hause ja auch an den Schrank und naschen.“ Manch Angehörigen mag es hier mal nicht aufgeräumt erscheinen. Aber das Maß an Ordnung, liegt nicht nur ganz individuell im Auge des Betrachters.
Vielmehr geht es darum, nicht ständig die Menschen zu korrigieren, das stresst sie und bringt sie ganz und gar durcheinander. Carsten weiß: „Manchen Familien fehlt das Verständnis für das Krankheitsbild. Dann sind wir Fachleute gefragt, reden mit viel Feingefühl über die Veränderungen des geliebten Menschen und trösten sie sehr oft. Denn der Mensch, den sie einmal kannten gibt es nicht mehr.“ Neben dem gerontopsychiatrischen Fachwissen ist eine Portion Menschenkenntnis unerlässlich. Und so sorgen die Profis um Carsten Harder jeden Tag für Leichtigkeit, Lachen und ganz viel Herzlichkeit hinter den Mauern der schönen Alt-Britzer Einrichtung.