Wohnbereich gekapert: Drei Tage lang geben die Azubis den Ton an

Nach der Ausbildung tragen Pflegefachpersonen ein großes Maß an Verantwortung. Im KATHARINENHOF IM UFERPALAIS haben sechs Auszubildende schon mal einen Testlauf gemacht und im Rahmen von Projekttagen drei aufeinanderfolgende Frühdienste komplett eigenständig übernommen.

„Wir kapern den Wohnbereich“: Sechs Azubis im KATHARINENHOF haben einen Wohnbereich selbstständig geleitet.“
Foto: Toni Hoffmann

Dienstag, 6:00 Uhr morgens: Dienstübergabe im KATHARINENHOF IM UFERPALAIS. Auf den ersten Blick wirkt auf dem Wohnbereich der Berlin-Spandauer Seniorenresidenz alles wie immer. Aufgaben werden verteilt, der Ablaufplan besprochen. Der Unterschied ist: Heute sind mehr Azubis als sonst auf dem Wohnbereich. Sechs in der Zahl. Und sie übernehmen an drei aufeinanderfolgenden Tagen im Frühdienst die Versorgung der Bewohnerinnen und Bewohner komplett eigenständig. Die Praxisanleitung und das restliche Team halten sich weitgehend im Hintergrund. Der Wohnbereich gehört den Azubis.


Es ist der zweite von drei Projekttagen, an denen die angehenden Pflegefachfrauen aus dem dritten Lehrjahr unter dem Motto „Wir kapern den Wohnbereich“ lernen und erfahren sollen, was es heißt, Verantwortung für die pflegerische Versorgung zu übernehmen. Sie führen die Grund- und Behandlungspflege in Eigenregie durch, führen Fachgespräche mit den Angehörigen der Bewohnerinnen und Bewohner. Schon der erste Tag war ein Erfolgserlebnis: „Die Auszubildenden haben sich in ihrer Rolle sehr wohl gefühlt. Und auch die Bewohnerinnen und Bewohner waren sehr zufrieden“, lobt Praxisanleiter Kevin Leitenberger, der die Aktion ins Leben gerufen hat. „Die ganze Schicht verlief ruhig, obwohl die Situation für alle neu war.“ Am zweiten Projekttag, den die Redaktion Altenpflege live vor Ort begleitet hat, wirkten die Auszubildenden schon routiniert.


Die Aktion soll die Azubis motivieren und ihnen zeigen, dass sie in der Zeit nach der Ausbildung ein sehr vielfältiges Aufgabenspektrum erwartet. Auf die Idee kam Leitenberger durch eine ähnliche Aktion des Deutschen Roten Kreuz, über die er auf Facebook gestolpert ist. Jetzt will der Praxisanleiter damit auch andere inspirieren und hofft auf Nachahmer in den anderen KATHARINENHOF-Einrichtungen und darüber hinaus. Für ihn sind die drei Projekttage der Auftakt für etwas Größeres: „Wir wollen das erweitern. Auf den Spätdienst, vielleicht auch auf den Nachtdienst, natürlich mit pflegefachlicher Begleitung. Und dann auch über einen längeren Zeitraum.“

STECKBRIEF: Kevin Leitenberger (23) ist Praxisanleiter im KATHARINENHOF IM UFERPALAIS in Berlin-Spandau.
Besondere Momente in der Pflege… waren für ihn, Menschen bei ihren letzten Atemzügen zu begleiten. An der Pflege verändern möchte er… am liebsten das ganze System: Investoren sollten keine Einschnitte bei der Versorgung machen können.

Der Fürsorgliche

Alles gut bei dir? Diese Frage stellt Kevin Leitenberger immer wieder und fast jedem, den er auf dem Wohnbereich antrifft. Durch seine äußerliche Ruhe hindurch ist ihm anzumerken, dass er sich persönlich dafür verantwortlich fühlt, dass es allen gut geht. Den Bewohnerinnen und Bewohnern, aber auch seinen Azubis. Als jemand, der in der Schulzeit Mobbing erlebt und erst über die Ausbildung zu seinem heutigen Selbstbewusstsein gefunden hat, ist der 23-Jährige in dieser Hinsicht achtsam. Die fürsorgliche Sorte von Mensch. Und die emotionale. „Das ist gut und schlecht zugleich, wenn man in der Pflege arbeitet.“ Denn dadurch bekommen die Schicksale anderer Menschen und das Wissen um ihre Krankheiten und Verläufe eine persönliche Dimension, werden zu einem Orbit, auf dem seine Gedanken kreisen: Was kann ich in der Versorgung anders machen, damit es dem Menschen gut geht? Eine Frage, die er sich sehr oft gestellt hat. Mittlerweile beschäftigt ihn noch mehr, wie er durch seine Praxisanleitung sicherstellen kann, dass jeder weiß, was zu tun ist, und alle Menschen gut versorgt sind. Weil der gesamte Pflegeprozess daran hängt. Und auch der Erfolg seiner Auszubildenden.


Dabei ist es noch nicht lange her, dass er selbst als anfangs unbeholfener Azubi auf der Matte stand und sich mit einer vollkommen neuen Situation zurechtfinden musste: Ausbildung in der Pandemiezeit. Kräftezehrend. Teilweise grenzwertig. Aber auch wichtig für seine Entwicklung. Verantwortung lernen im Schnelldurchlauf. „Die Zeit hat mir viel gebracht.“ Eine Herausforderung, an der er gut wachsen konnte. Nicht die erste und nicht die letzte ihrer Art.

Denn Erfolgserlebnisse wie dieses haben ihn schon durch die eine oder andere schwierige Lebensphase getragen. Das letzte Jahr war eine davon. Erst ein Beziehungsaus – plötzlich waren die Freundin und der gemeinsame Hund weg. Dann ein Autounfall mit einem sehr teuren Materialschaden. Existenzängste. Eine rasend schnelle Talfahrt. Er war am Boden, sein gerade erst entfachter Ehrgeiz erloschen, ihm war alles egal. Doch dann hat er sich wieder aufgerichtet, ein neues Ziel gesucht und nach vorne geblickt. Weiterbildung zum Praxisanleiter. Das war die Karotte vor der Nase, die er in dem Moment gebraucht hat. Bloß kein Stillstand. Und irgendwie passte auch das Timing. Er hat schon immer gern sein Wissen weitergegeben und hatte den gelernten Ausbildungsstoff praktischerweise noch frisch im Kopf. Als einer der letzten Absolventen der alten Ausbildung macht er nun angehende Generalisten fit für den Job. „Wenn meine Azubis die Prüfung bestehen und glücklich sind, macht mich das glücklich.“

Win-Win-Situation also. Trotzdem will er nicht ewig Praxisanleiter bleiben. Es ist eine Zwischenstation, das Ticket für die Weiterreise schon gebucht: Studium. Pflegemanagement. Er will da hin, wo er feste Strukturen aufbrechen und am Kern etwas verändern kann. „Ich will mehr Menschlichkeit in die Pflege bringen.“ Karriere-Ambitionen treffen auf Idealismus. Die Spitze der Hierarchie-Pyramide erklimmen, um sie von da aus Schicht für Schicht abzutragen und durch etwas Neues zu ersetzen.

Dafür nimmt er viel in Kauf, wird während seines Vollzeitjobs ohne Freistellung studieren. Auf eigene Kosten, und die haben es in sich. Auch Hobbies müssen seit Jahren zurückstecken. Keine Zeit dafür. Und Dinge, für die er brennt, will er nicht halbherzig machen. Fußball deshalb nur noch von der Zuschauertribüne aus und nicht auf dem Spielfeld. Aber diesen Preis bezahlt er gerne, um beruflich voranzukommen, denn es ist eine Investition in seine Zukunft. Dranbleiben und durchziehen. Das ist eine Lehre, die er aus seinem jungen Leben gezogen hat und an seine Azubis weitergeben möchte. „Auch wenn es Tiefs gibt und man sich fragt: ‚Warum mache ich das überhaupt?‘ – es lohnt sich.“ (th)

Dieser Blog-Beitrag basiert auf einem Artikel aus www.ALTENPFLEGE-ONLINE.net, Ausgabe September 2024, der für unsere Webseite angepasst wurde.